Paris : Notizen . n und mit demRosenkranz als Beter. Wo der Protestant heimlich, hinter Heckensich duckend, damit der Nachbar nicht das Falten seiner Händesieht, ein ratloses Gebet wortlos murmelt, da schließt der Ka-tholik sich in einem Grabhaus ein, hinter bunten Fenstern undbeim Kerzenlicht, und fällt inbrünstig auf die Knie. Er belebtdas Grabmal durch Zeremonie. Ihm ist der Friedhof eine Kult-stätte wie die Kirche, und darum allein wird sie ihm auch zueiner Kulturstätte der Kunst. Mag heute auch Vieles im katho-lischen Friedhofskultus erstarrter Konventionalismus gewordensein: was an leben


Paris : Notizen . n und mit demRosenkranz als Beter. Wo der Protestant heimlich, hinter Heckensich duckend, damit der Nachbar nicht das Falten seiner Händesieht, ein ratloses Gebet wortlos murmelt, da schließt der Ka-tholik sich in einem Grabhaus ein, hinter bunten Fenstern undbeim Kerzenlicht, und fällt inbrünstig auf die Knie. Er belebtdas Grabmal durch Zeremonie. Ihm ist der Friedhof eine Kult-stätte wie die Kirche, und darum allein wird sie ihm auch zueiner Kulturstätte der Kunst. Mag heute auch Vieles im katho-lischen Friedhofskultus erstarrter Konventionalismus gewordensein: was an lebendiger, symbolischer Handlung übrig bleibt,genügt immer noch, daß die Grabmalskunst nicht so schmach-voll entartet, nicht so freudlos industriealisiert wird, wie es improtestantischen Norden längst geschehen ist. Es ist die Einheitvon Idee und Form, die Kunst gewordene Synthese von Lebenund Tod, was auch auf dem Pere-Lachaise den Besucher er-greift. Eine ganze Zeit offenbart sich dort in reinen Bauformen,. DER PERE-LACHAISE 89 weil sie sich auf religiösen und architektonischen Konventionengleichermaßen stützen konnte. Dieser Kirchhof ist in Wahrheiteine grandiose Denkmalstätte der Tradition, ist ein Museumunter blühenden Bäumen, hoch über dem Dunst des Werktages,und doch rings umflossen vom ruhelos pochenden Leben. Der Pere-Lachaise ist im wesentHchen eine Schöpfung derEmpirebaukunst. Er wurde im Jahre 1804 von der Stadt an-gelegt, und es haben die Bauformen der nächsten Jahrzehnteseinen architektonischen Gesamtcharakter so fest bestimmt, daßdie Auflösungssymptome der neuen Zeit dem Stil des Ganzennichts mehr anhaben können. Denn auch in dem konservativenParis beginnt die Grabmalarchitektur neuerdings die bewährtenÜberlieferungen zu verlassen. Man strebt mehr einem skulpturalschmückenden Individualismus zu und setzt damit, wie überall,an Stelle einer geschlossenen Monumentalkunst das subjekti-vistisch anarchische und physiognomielose Vielerlei. Seit die


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