Paris : Notizen . ben sich die Traditionen langsamaufgelöst und an Stelle des Organischen ist immer mehr einintellektueller und willkürlicher Stileklektizismus getreten. Dieum 1840 vollendete, in ihrer pseudogriechischen Würde dasStraßenbild beherrschende Madeleine und die mit Hintansetzungjedes lebendigen Zweckgedankens einem römischen Tempel nach-geahmte, zur Zeit der Restauration erbaute Börse sind nochwertvolle Leistungen einer im Formalismus langsam seelenloswerdenden Bauweise. Dann aber kommt mit dem Industriekaiser,mit dem Fürsten nach dem Herzen aller spekulierenden Ge-schäftsleute, mi
Paris : Notizen . ben sich die Traditionen langsamaufgelöst und an Stelle des Organischen ist immer mehr einintellektueller und willkürlicher Stileklektizismus getreten. Dieum 1840 vollendete, in ihrer pseudogriechischen Würde dasStraßenbild beherrschende Madeleine und die mit Hintansetzungjedes lebendigen Zweckgedankens einem römischen Tempel nach-geahmte, zur Zeit der Restauration erbaute Börse sind nochwertvolle Leistungen einer im Formalismus langsam seelenloswerdenden Bauweise. Dann aber kommt mit dem Industriekaiser,mit dem Fürsten nach dem Herzen aller spekulierenden Ge-schäftsleute, mit dem dritten Napoleon, wenn auch nicht in derWohnhausarchitektur, so doch im Baustil der öffentUchen Ge-bäude ein Repräsentationsstil auf, nicht mehr aus langsamgewordener Tradition geboren und nicht dem gewachsenen Steinkünstlerisch abgerungen, sondern von akademisch geschulterWillkür aus Stuck und Gips aufgebaut. GlückHcherweise hataber dieser neuzeitliche Stil, trotz der ungeheuren Straßendurch-. EMMANUEL FREMIET: JEANXE DARC MODERNE ARCHITEKTUREN 99 brüche und der gesteigerten Bautätigkeit jener Zeit, nicht allzu-viel Arbeitsgelegenheiten in Paris mehr gefunden. Die problematische Bautätigkeit dieser und der späteren Zeitwird darum dem Stadtbild nicht sehr gefährlich. Um so weniger,als ihre Werke fast ausnahmslos gut placiert sind — und das istschon die halbe Wirkung — und als diesen Repräsentationsbautentrotz ihrer unechten Prächtigkeit immer ein gewisser künstleri-scher Elan eigen ist. Das vielgerühmte Opernhaus, das demBildungsphilister als eine Tat des mit Millionen spielenden Bau-unternehmertemperaments imponiert, ist als Kunstleistung eherschlecht als gut. In dem überreich verzierten Haus, dessen Korri-dore abends mit grünem Mondscheinlicht beleuchtet werden, sodaß es den Eindruck macht, als wäre der Nachthimmel gleich hinterder Fassade, ist bedenklich viel Panoptikumkultur. Aber es ist selbstdort noch etwas von dem sicheren Gefühl f
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