Paris : Notizen . hkeiten der italienischen Malerei treten dem Besucher desLouvre zwei der gewaltigsten so mächtig entgegen, daß er ver-weilen muß, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen: Leonardoda Vinci und Tizian. Dem in der Kunstbetrachtung nicht Selbständigen wird esnicht leicht, sich der Kunst Leonardos hinzugeben. Wie es zugehen pflegt, hat die Bewunderung für das Vortreffliche auchim Louvre zu Modemeinungen geführt. Die allgemeine Stimmehat unter Leonardos Werken eines, das Bildnis der »Mona Lisa«,als einen einsamen Gipfel menschlicher Kunst überhaupt be-zeichnet, und nun strömt das Pub


Paris : Notizen . hkeiten der italienischen Malerei treten dem Besucher desLouvre zwei der gewaltigsten so mächtig entgegen, daß er ver-weilen muß, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen: Leonardoda Vinci und Tizian. Dem in der Kunstbetrachtung nicht Selbständigen wird esnicht leicht, sich der Kunst Leonardos hinzugeben. Wie es zugehen pflegt, hat die Bewunderung für das Vortreffliche auchim Louvre zu Modemeinungen geführt. Die allgemeine Stimmehat unter Leonardos Werken eines, das Bildnis der »Mona Lisa«,als einen einsamen Gipfel menschlicher Kunst überhaupt be-zeichnet, und nun strömt das Publikum, der Suggestion unter-liegend, vor diesem Werk staunend zusammen und vergißt dar-über, den Meister in seiner Ganzheit zu betrachten. Die »MonaLisa« ist allgemach zu einem Superlativbegriff geworden, so wieder höchste Berg einer ist, der breiteste Strom oder der größteDiamant. Sie gilt als Kuriosität, ähnlich wie Raffaels Sixtinain Dresden. Mit rechtem Kunstgenuß hat solche Schätzung kaum. Phot. Ad. Braun & Co. LEONARDO DA VINCI: DIE HEILIGE ANNA SELBDRITT LEONARDO UND TIZIAN iii noch etwas zu tun. Denn sie stumpft für die Herrlichkeiten inall den anderen Sälen ab, da sie die Idee erweckt, man hättedas Höchste nun gesehen, und alles, was noch käme, wärezweiten Grades. Ein subalterner Irrtum! So wenig die Nelkegeringer wird, weil es Rosen gibt, so gut der Tiger sich nebendem Löwen, der Smaragd neben dem Rubin behauptet und dieLinde neben der Eiche, so gibt es auch zwischen Meister^-erkender Kunst nicht Gradstufen. Die »Mona Lisa« ist ganz gewiß eineVollkommenheit; aber viele andere Bilder sind es nicht gibt künstlerische Genüsse, die dieses weltberühmte Bildnicht einmal andeutet. Der Besucher des Louvre leidet geradezu unter der MonaLisa-Mode. Auf dem Wege nach Paris begegnete ich in Cölneinem der klügsten, bedeutendsten und charaktervollsten deut-schen Dichter unserer Zeit, einem ernsten Denker und reifenGeist, den ich sehr lie


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