Paris : Notizen . at. Diese Dome deuteten und ver-körperten den Riesengedanken der christlichen Religion; diegotische Kirche überwindet das Ethos dieses Gedankens, umes restlos in Ästhetik zu verwandeln. Das Zeitalter der Gotikwird nicht charakterisiert durch den von der Kirche ausgehen-den Gewissensdruck, sondern durch den in der Architektur ver-körperten Gedanken der Befreiung von diesem das Individuumunterdrückenden Zwang. Es ist charakteristisch durch seineLiberalität, durch seine an die Zeit der Enzyklopädisten ge-mahnende Aufklärungswut, durch eine grüblerische Skepsis undfaustische Erke


Paris : Notizen . at. Diese Dome deuteten und ver-körperten den Riesengedanken der christlichen Religion; diegotische Kirche überwindet das Ethos dieses Gedankens, umes restlos in Ästhetik zu verwandeln. Das Zeitalter der Gotikwird nicht charakterisiert durch den von der Kirche ausgehen-den Gewissensdruck, sondern durch den in der Architektur ver-körperten Gedanken der Befreiung von diesem das Individuumunterdrückenden Zwang. Es ist charakteristisch durch seineLiberalität, durch seine an die Zeit der Enzyklopädisten ge-mahnende Aufklärungswut, durch eine grüblerische Skepsis undfaustische Erkenntnisneugier, die problematische Naturen wieKaiser Friedrich den Zweiten auf dem Thron sogar möglichmachten und den gotischen Baumeistern die Freiheit gaben,unzüchtige Darstellungen voll anklagender Gebärden am Ge-mäuer der Kirche selbst anzubringen. Und dieser oft verzweifelte,oft berauschte Sturm und Drang eines ungeheuren weltgeschicht-lichen Subjektivismus, gedieh vor allem in seiner spirituellen. SAINTE-CHAPELLE: INNERES DER OBERKIRCHE DIE GOTIK 6i Überkraft in dem zwischen Romanentum und Germanentumkünstlich eingebetteten Frankreich, und am besten in der Haupt-stadt dieses Landes, wo die hohen Zeitspannungen damals schonimmer um etliche Grade höher waren als anderswo. In Paris scheint die Baukunst mit der Gotik zu die zackig spitzen Türme mit den Kreuzblumen undrokokokühnen Ornamenten in Deutschland, im Lande des ro-manischen Stils, wie ein Abschluß, wie eine Dekadenz fast desmonumentaleren Baugedankens, so wirken sie in Paris wie dasUrsprüngliche. Die Ursache ist einerseits die Abwesenheit desRomanischen — die romanischen Elemente im Dom von önnen daran nichts ändern —; andererseits aber kommt esdaher, weil die Pariser Gotik — wenn man von der Archi-tektur der Sainte-Chapelle (einer kleinen Hofkirchc!) absieht —etwas akademisch Beruhigtes und Strenges hat. Ja, es ist sehrmerkwürdig: sogar die Gotik, die doch in Pa


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