Mode . eider haben aber nichts mit jenem »Reformkleid« zu tun,jenem traurigen KompromiB zwischen Nachthemd und Mal-schurze, das wir, die wir leben, schaudernd entstehen sahen,die schlampete Fahne, unter der sich alle armen Hascherln zu-sammenfanden und zu einem neidvollen Kampf gegen Grazieund Schick verschworen! Diese mit einer »Nationalkleidung« spielenden Gedanken sindnicht wieder zur Ruhe gekommen. Wir werden im Laufeunserer Darstellung noch wiederholt Bestrebungen begegnen,welche in Zeiten besonderer politischer Erregung in Frank-reich sowohl wie in Deutschland immer wieder den Wunsch


Mode . eider haben aber nichts mit jenem »Reformkleid« zu tun,jenem traurigen KompromiB zwischen Nachthemd und Mal-schurze, das wir, die wir leben, schaudernd entstehen sahen,die schlampete Fahne, unter der sich alle armen Hascherln zu-sammenfanden und zu einem neidvollen Kampf gegen Grazieund Schick verschworen! Diese mit einer »Nationalkleidung« spielenden Gedanken sindnicht wieder zur Ruhe gekommen. Wir werden im Laufeunserer Darstellung noch wiederholt Bestrebungen begegnen,welche in Zeiten besonderer politischer Erregung in Frank-reich sowohl wie in Deutschland immer wieder den Wunschnach »patriotischer«, »nationaler« Kleidung auBern. Im Ge-gensatz zu unserer heutigen Anschauung, welche der Kleidungnur eine ganz nebensachliche Bedeutung zuerkennt, werdenwir in diesen Bewegungen (wie resultatlos sie auch jedes-mal verlaufen sein mogen) doch einen Beweis dafiir erkennenmiissen, welch hoher psychologischer Wert, wenn auch un-bewuBt, gerade der Kleidung innewohnt. Fruhere Epochen 88. i8oiHamburger Journal der Moden und Eleganz 18 Die Mode, 19, Jalirh, * haben das dadurch zunfAusdruck gebracht, daB siedie Stiindesich verschieden kleiden lieBen. Nicht nur die Berufe, etwaGeistlicher und Soldat waren zu unterscheiden, nein, auch derEdelmann trug sich anders, als der Biirgerliche, die vornehmeDame anders, als die Kaufmannsfrau, die Frau des Handwerkersanders, als die Angehorige der dienenden Klasse. So blieb esbis zur groBen Revolution, wenigstens auf dem Kontinent,denn in England fallt es schon vorher den Reisenden, die vomFestland kommen, auf, daB die Stiinde sich dort in ihrer Klei-dung durchaus nicht voneinander unterscheiden, ohne daB dochder Hoherstehende deswegen an Wiirde einbiiBe!So ware wohl auch in England unmoglich gewesen, was sichin Frankreich ereignete, als im Mai 1789 endlich die Standezusammentraten. Der Oberzeremonienmeister, Dreux de Breze,


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