Paris : Notizen . eit da. Und die Not-wendigkeiten, die kausalen Erscheinungen sind es ja vor allem,die uns im Anblick der Kunstgeschichte ergreifen. Raffael resü-miert: er macht aus Bruchstücken Melodien, singt, wo dieAndern mühsam reden, kann primitiv, rein und keusch sein undrokokohaft elegant, ist zart und lieblich bis zu englischerSüßlichkeit und dann wieder monumental männlich, er kanncharakterisieren und typisieren, beherrscht spielend die Gesetzeder Raumwirkungen und der Flächenkomposition, ist Psycho-loge und Sinnenmensch zugleich, erhebt sich zum Tiefsinn desVisionärs und sinkt hinab


Paris : Notizen . eit da. Und die Not-wendigkeiten, die kausalen Erscheinungen sind es ja vor allem,die uns im Anblick der Kunstgeschichte ergreifen. Raffael resü-miert: er macht aus Bruchstücken Melodien, singt, wo dieAndern mühsam reden, kann primitiv, rein und keusch sein undrokokohaft elegant, ist zart und lieblich bis zu englischerSüßlichkeit und dann wieder monumental männlich, er kanncharakterisieren und typisieren, beherrscht spielend die Gesetzeder Raumwirkungen und der Flächenkomposition, ist Psycho-loge und Sinnenmensch zugleich, erhebt sich zum Tiefsinn desVisionärs und sinkt hinab zum äußerlichen Pathos des Theatra-likers, ist zugleich mächtig dramatischer Gestalter und Deko-rationsmaler. Aber in diesem Universum von Schönheit undHarmonie erklingt nicht eigentlich ein neuer, starker Ton eigenerLeidenschaft. Er ist mehr ein Gefäß der Vollkommenheit, als ihrlebendig ringendes Organ. Das Maßvolle seiner Art entspringtnicht dem schönen Sieg über innere Maßlosigkeit. In diesem. Phot. Ad. Braun & Co. RAFFAEL SANTI: HILDMS BALTHASAR CASTIGLIOXES /I RAFFAEL 129 Sieg allein aber liegt das Moment der Produktivität im höchstenSinne. Man könnte sich Raffaels Werke aus dem Louvre fort-denken, und es würde nur ein sehr feiner Reiz verschwinden,nicht ein wesentliches Entwickelungsglied. Wenn er in derGeschichte der Renaissance fehlte, so würde eine herrliche Spitzenicht da sein, etwa so, wie die Turmhaube vielen gotischenDomen fehlt, aber kein notwendiges Konstruktionsglied desRiesengebäudes. So wird es verständlich, warum Raffael große Nachfolger nichthinterlassen hat, warum er aber mächtig, wenn auch nicht immererfreuhch auf spätere, künstlerisch verarmte Jahrhunderte gewirkthat. Seine Kunst ist als Extrakt benutzt worden, der verdünntbrauchbare Idealsuppen gibt. Er machte das Studium der Früh-renaissance den Künstlern fast überflüssig. Zeitweise ist seine großdahinrollende Melodie von Späteren so genau ins Kleinliche trans-ponier


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